„Die Industrie gängelt Wissenschaft und Forschung“ –

4. Offene Universität in Gelsenkirchen erfolgreich

Die 4. Offene Universität, an der über 1.000 Menschen teilnahmen, wurde am Samstag der vergangenen Woche in Gelsenkirchen erfolgreich abgeschlossen. „Die Offene Uni ist ein Symbol für wirkliche Demokratie. Es gab keine abstrakten Diskussionen. Eine solche Veranstaltung, eine gemischte Veranstaltung vom Arbeiter bis zum Professor, das habe ich noch nie erlebt“, so fasste ein Student aus Dortmund seine Eindrücke zusammen. Wie hier Professoren und Zuhörer auf gleicher Augenhöhe miteinander diskutierten, hatte er noch nie zuvor erlebt. Kritische, fortschrittliche Wissenschaft, neue Erkenntnisse und intensive Diskussion prägten den Verlauf dieser für Deutschland einmaligen Veranstaltung. In über 30 Veranstaltungen ergänzten Wissenschaftler, Künstler und Interessierte aus unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen gegenseitig ihre Erkenntnisse.

Wie frei ist die Wissenschaft?

Der ehemalige Staatsekretär des NRW-Wissenschaftsministeriums Dr. Wolfgang Lieb referierte zum Thema: „Von der Freiheit der Wissenschaft zur unternehmerischen Hochschule“. Am Beispiel der Rolle des von der Bertels-mann-Stiftung gegründeten Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) wurde die Durchsetzung der Interessen internationaler Konzerne auf die Hochschulpolitik nachgewiesen. Die Universitäten werden nicht nur wie ein Wirtschaftsbetrieb geführt, sondern z.B. über den neu eingeführten „Hochschulrat“ als oberstes Gremium der unmittelbaren Kontrolle der Großindustrie unterstellt.

Die anschließende Diskussion mit den Teilnehmern, die als Charakteristikum der offenen Universität „auf gleicher Augenhöhe“ mit dem Referenten erfolgt, wurde unter dem Eindruck der Auseinandersetzung mit dem Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie NRW geführt. Das Ministerium hatte seine Bedenken angemeldet, da der Begriff „Offene Universität“ gesetzlich geschützt sei. Unter Androhung eines Bußgeldes bis zur Höhe von 500.000 Euro soll der Begriff „Universität“ untersagt werden. Referenten sowie Teilnehmer protestierten gegen diesen Versuch der Repression.

Wo Querdenker nicht mehr zugelassen, sogar unterdrückt oder behindert werden, wo sie „an die Kandare“ der Mächtigen der Gesellschaft genommen werden, da stagniert der Fortschritt der Wissenschaft. Und wo Offenheit für wissenschaftliche Erkenntnisse einem breiten Publikum vorenthalten werden soll, da wird der Wissenschaft das Lebenselixier einer Überprüfung der Wahrheit an der Praxis entzogen.

Es gibt im üblichen akademischen Betrieb keine freie Wissenschaft. Mehrere Hochschullehrer konnten aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen und der Geschichte ihrer Institute aufzeigen, welche Probleme bis hin zu Reglementierungen auftraten, wenn sie kritische Themen anpackten. Aber an der Offenen Universität fand eine freie Wissenschaft ihren gebührenden Platz.

Kurnaz: Bundesregierung wusste Bescheid und belog Anwalt sowie Angehörige

Der Anwalt Bernhard Docke ermöglichte einen Einblick in den kafkaesken Raum, in dem die einsitzenden Gefangenen in Guantánamo, teilweise jahrelang ohne Anklage, ohne Kontakt zur Außenwelt oder Recht auf Anwaltsbetreuung, dahinvegetieren müssen. Dabei werden nur 5% der Gefangenen von Amerikanern selbst gefangen gesetzt. Überwiegend trifft es willkürlich durch Kopfgeldjäger aufgegriffene Menschen, die der US-Unrechtsjustiz zur weiteren Behandlung übergeben werden.

Auch Murat Kurnaz verdankt sein jahrelanges Martyrium solchen Methoden der mittelalterlichen Verfolgung Vogelfreier, die die Gefangenen dann der sogenannten „weißen Folter“ unterzieht, will heißen: Alles unterhalb der Todesschwelle ist erlaubt. Docke warf die Frage auf: „Waren deutsche Informationen vielleicht der Grund für die Festsetzung von Herrn Kurnaz?“

In einem Brief an die Familie Kurnaz bedauerte der damalige Außenminister Joschka Fischer die Gefangenschaft von Kurnaz, betonte jedoch, dass er nichts ausrichten könne. Das war, wie Rechtsanwalt Bernhard Docke bemerkte, eine Lüge. In der „Kanzlerrunde“ hatte man auf das Angebot der US-Regierung auf Freilassung von Kurnaz beschlossen: „Den wollen wir nicht.“ Es spielte keine Rolle, dass er unschuldig war. Auf der offenen Universität wurde erörtert, in wie weit dieses Verhalten der Schröder-Fischer-Regierung den Tatbestand einer Straftat darstellt.

Die Bürokratie wurde in Bewegung gesetzt, alle möglichen menschenfeindlichen Taktiken zu ersinnen, wie man Kurnaz aus seiner Heimatstadt Bremen fernhalten könne. Vergeblich – denn es wirkten neben engagierten Rechtsanwälten mit Zivilcourage auch seine Familie und amerikanische Bürgerrechtsorganisationen gegen alle Widerstände zusammen und erreichten seine Freilassung. Für das mutige Engagement Dockes für seinen Mandanten erhielt dieser 2006 die Carl-von-Ossietzky-Medaille. Fazit: Der Kampf um den Erhalt demokratischer Rechte und Freiheiten wird in der nächsten Zeit eine große Rolle spielen.

Mobilfunk: UMTS zehnmal stärker genschädigend als GSM Strahlung

In seiner Vorlesung, die am 1.10.2007 im Rahmen der Offenen Universität stattfand, legte Professor Franz Adlkofer von der „Verum Foundation“ in München neue Forschungsergebnisse aus Nachfolgearbeiten zum Reflex-Projekt der Mobilfunk-Forschung vor. Untersucht wurde der Einfluss der UMTS-Mobilfunkstrahlung auf Zellkulturen von Humanzellen. Der dabei erfolgte Nachweis von DNA-Strangbrüchen zusammen mit Mikrokernen lässt an der gentoxischen Wirkung von UMTS-Signalen keinen Zweifel mehr zu. „DNA-Strangbrüche treten bereits bei 1/40 des Grenzwertes auf,“ so Prof. Adlkofer auf der Offenen Universität. UMTS-Signale sind damit fast 10 Mal wirksamer als GSM-Signale, zu deren Wirkung aus dem Reflex-Projekt ebenfalls Untersuchungsergebnisse vorliegen.

DNA-Strangbrüche können krebserzeugende und andere Wirkungen haben. Die zu erwartende Latenzzeit liegt bei zehn Jahren und mehr, weshalb besonders Kinder durch Langzeitfolgen gefährdet sind.

Professor Adlkofer warnte davor, dass mit der zunehmenden technischen Nutzung hochfrequenter elektromagnetischer Felder ein Gesundheitsproblem großen Ausmaßes auf unsere Gesellschaft zukommen kann. Er forderte, dass das Vorsorgeprinzip zum Schutz der Bevölkerung von den Entscheidungsträgern in Industrie und Politik anerkannt werden sollte. Tabak, Asbest und Röntgenstrahlen seien Beispiele dafür, dass es Jahrzehnte dauern kann, bis die Wissenschaft endgültige Beweise für ein Gesundheitsrisiko vorzulegen vermag. „Rechtzeitiges Handeln könnte uns vielleicht eine späte Lektion ersparen“, mahnte Adlkofer.

Projekt zur Einschränkung der Schichtarbeit und Flexibilisierung

Rechtzeitig zur 4. Offenen Universität konnte der Beginn einer Pilotstudie in Form einer Erhebung zu Gesundheitsschäden durch Nacht- und Schichtarbeit vorgestellt werden. Diese richtet sich nicht nur an Nacht und Schichtarbeiter, sondern auch an deren Partner sowie Betroffene, die früher im Schichtdienst gewesen sind. Die Erhebung wurde von Wissenschaftlern der Offenen Universität in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Bremen entworfen, und die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung konnte für die Finanzierung gewonnen werden.

Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Spätfolgen von Schichtarbeit sind gravierend. Einer ersten Vorab-Befragung von Schichtarbeitern bei Hoesch-Spundwand in Dortmund ergab: jeder vierte leidet an ernsten gesundheitlichen Störungen.

Neben Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, des Immun-, Nerven-, Verdauungs- und des Hormonsystems ist bei Schichtarbeiterinnen auch die Anfälligkeit für Brustkrebs und die Unfruchtbarkeit deutlich erhöht. Auf der Offenen Universität waren zahlreiche Schichtarbeiter verschiedener Branchen anwesend und konnten von solchen Schäden berichten. Trotz wissenschaftlicher Belege für die Schädlichkeit hat die Zahl der Schichtarbeiter mit Nachtschicht in den vergangenen 10 Jahren erheblich zugenommen.

Ein Vergleich der bis Juli 1994 gültigen Arbeitszeitordnung (ArbZO) mit dem jetzigen Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ergab eine klare Verschlechterung und steht damit im Widerspruch zur Forderung der EU aus dem Jahre 2003 (Richtlinie 2003/88/EG). Sowohl bezüglich der Flexibilisierung wie auch der Ausdehnung und Häufigkeit von Nachtarbeit kam das jetzt gültige Arbeitszeitgesetz den Interessen der Arbeitgeber sehr entgegen, wie eine Vorarbeit von Studenten der Fachhochschule Gelsenkirchen belegte.

Im Rahmen des Pilotprojekts der Offenen Universität werden die Folgen von Nacht- und Schichtarbeit in 6 verschiedenen Branchen erfasst und 6.500 Fragebögen an Betriebsräte und Gewerkschafter ausgegeben. Das Ergebnis wird bis Mitte 2008 erwartet.

Gesundheitliche Schäden in der Umgebung von Atomkraftwerken

Seit den 1960er Jahren häufen sich Leukämieerkrankungen im Umkreis von Atomanlagen. Bei den kindlichen Leukämiefällen um die Geesthachter Atomanlagen von 1990/91 kam Professor Dr. Inge Schmitz-Feuerhake als Mitglied einer amtlichen Expertenkommission der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu dem Schluss, dass diese durch einen kerntechnischen Unfall im Jahre 1986 verursacht worden sind. Dieser Unfall wurde genauso vertuscht wie die verheerenden Folgen von Tschernobyl. Professor Schmitz-Feuerhake berichtete, wie ihre Arbeit behindert und unterdrückt wurde und wie kritische Wissenschaftler aus den staatlichen Untersuchungskommissionen ausgeschlossen worden sind. Die Diskussionsteilnehmer würdigten die mutige Arbeit der Wissenschaftlerin. Auch wenn die zuständigen Minister, Bundesbehörden und ihre Berater bis heute jeglichen Zusammenhang der Leukämiefälle mit Radioaktivität leugnen, ist der Nachweis durch die wissenschaftlichen Studien eindeutig und nicht aus der Welt zu schaffen. Die Forschungsergebnisse liegen der Öffentlichkeit vor und die Wahrheit lässt sich auf Dauer nicht unterdrücken. Kritische Wissenschaft kann sich immer nur im Gegenwind durchsetzen.

Dies waren nur einige Beispiele aus der Palette der insgesamt 35 hochaktuellen Themen, welche auf der Offenen Universität thematisiert wurden und die der Bevölkerung heute auf den Nägeln brennen – Müllverbrennungsanlagen, erneuerbare Energien, Wirtschaftskriminalität, Diskriminierung im Alter, Verarbeitung von Tod und viele andere mehr.

Die umfassende Dokumentation aller Vorträge und Abendveranstaltungen wird im Dezember 2007 erscheinen. Sie können diese Dokumentation bestellen unter info@offene-universitaet.de.

Die gesamte Vorlesungswoche war geprägt von Diskussionen auf hohem Niveau. Es entstand eine große Begeisterung für wissenschaftliches Engagement in Verbindung mit notwendiger Zivilcourage. Die Teilnehmer forderten, sich dem Zwang einer eventuellen Namensänderung nicht zu unterwerfen. Entsprechend dem Bedürfnis findet die Offene Universität vom 30. November bis 2. Dezember 2007 in Stuttgart statt. Und ganz sicher soll diese Veranstaltung im Jahr 2008 wieder in Gelsenkirchen stattfinden – egal, welcher Name dem Kind gegeben werden muss.

[download id=“12″] (Download als PDF, Rechtsklick, Speichern unter …)

Ansprechpartner für die Presse:
Christoph Klug, (02361-494997 AB),
E-Mail: wissenschaft_klug@web.de
Prof. Dr. Josef Lutz, (0371-531 336 18),
E-Mail: josef.lutz@etit.tu-chemnitz.de
Prof. Dr. Christian Hegelmaier (05721 – 701 232)
E-Mail: chirurgie@kkh-stadthagen.de


Jetzt spenden

Helfen Sie mit, dass dieses einmalige Forum kritischer Wissenschaft und Kultur finanziell unabhängig, allein durch Spenden, Seminar-Beiträge und Literaturverkauf leben und sich fortentwickeln kann.