Vom 25. – 27.11.2016 fand in Stuttgart die diesjährige Tagung der Offenen Akademie statt – wie immer hier über ein Wochenende hinweg. Die Tagung war gut besucht, 40 – 90 Menschen nahmen jeweils an den 8 Veranstaltungen teil.

Die Tagung wurde eröffnet mit einer Lesung des Schauspielers Rolf Becker mit Texten von Marx und Engels zur Einheit von Mensch und Natur. Er las u.a. das Vorwort zur Dialektik der Natur – ein sehr anspruchsvoller Text, der die ganze Geschichte der modernen Philosophie, v.a. aber der Naturwissenschaft zusammenfasst als zunehmende Erkenntnis, dass die Natur aus sich ewig bewegender Materie besteht, ein ständiges Werden und Vergehen ist und nicht – nach der Schöpfungsgeschichte – ein für allemal fest bleibt wie sie eben ist. Rolf Becker nahm die Zuhörer mit seiner Sprache und Gesten mit durch den komplizierten Text, so dass neue Zugänge und Verstehen entstanden. Ein zwar anstrengender, aber spannender Abend!

Alle der insgesamt 8 Vorträge gliederten sich in ¾ Stunde Vortrag und ¾ Stunde Diskussion – was ein gegenseitiges Lernen von Referent und Publikum ermöglicht.

Es begann mit der „Grundsatzkritik an der Wegwerfproduktion“ durch Prof. Dr. Cynthia A. Volkert aus Göttingen. Ihr Vortrag zeichnete sich durch eine äußerst lebendige, für jeden nachvollziehbare Darstellung des Wahnsinns der heutigen Produktionsweise, die aus Naturressourcen auf zerstörerische Weise Müll produziert. Das erschöpft die Ressourcen, verändert das Weltklima und zerstört schließlich die Lebensgrundlagen der Menschheit. Sie plädierte für eine umfassende Kreislaufwirtschaft als Alternative.

Der anschließende Bericht von Frau Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake über „Genetische Strahlenfolgen bei Menschen nach Tschernobyl“ zeigte die ungeheure Verharmlosung der Folgen des GAU´s bis heute auf und verdeutlichte, dass das Konzept der Grenzwerte bei Strahlenschädigungen überhaupt nicht greifen kann. Frau Schmitz-Feuerhake – inzwischen über 80 Jahre alt – ist seit vielen Jahrzehnten mit der Strahlenforschung befasst, besonders über Auswirkungen nuklearer Anlagen auf die menschliche Gesundheit. Sie legte sich damit mit mächtigen Konzernen und Regierungen an – mit all den Folgen wie Mobbing bis zu erheblichen persönlichen Belastungen – die Offene Akademie kann sich glücklich sprechen, eine solch mutige und kompetente Frau in ihrem Beirat und als Referentin zu haben!

Peter Borgwardt, Journalist aus Stuttgart referierte über „Einige Grundlagen und neue Fragen einer dialektisch-schöpferischen Literaturkritik“. Sein Beitrag wurde bis in die Pausen heftig diskutiert und zeigte, das diese und ähnliche Themen auf die Offene Akademie gehören und bisher eher vernachlässigt wurden.

Sehr berührend dann der Vortrag unseres Sprechers Christoph Klug über „Fortschrittliche Wissenschaft im Visier der Geheimdienste“. Er zeigte auf, wie die Forschungen von Prof. Segal und ihm über den künstlichen Ursprung von Aids diffamiert wurden als „Verschwörungstheorie“, die angeblich sogar zum Tode tausender Aids-Kranker geführt hätten. Diese Diffamierungen stammen aus der Feder deutscher und v.a. us-amerikanischer Geheimdienste mit Verbindungen zum Wahlkampfteam des neuen US-Präsidenten Trump. In der Diskussion wurde die Aussage vertieft, dass grundlegende Kritik am kapitalistischen Gesellschaftssystem – wie die These von der Verschmelzung der Monolope mit den Organen des Staats – von den Geheimdiensten als Verschwörungstheorie diffamiert wird und den Kapitalismus als „alternativlos“ erscheinen lassen soll.

Dann die Klaviersonate am Abend: Beethovens „Pathéthique“, gespielt von Prof. Aziz Kortel – ein Genuss nicht nur für Fans der klassischen Musik! Dazu gab es eine Einführung über Beethoven´s Persönlichkeit, die Sonatenform und den besonderen Aufbau der Pathétique. Die gute Stimmung schlug sich in einem langen Abend im anliegenden Restaurantbereich nieder.

Am nächsten Morgen erlebten wir Johanna Jensen – eine junge Wissenschaftlerin, die zu Recht einen Preis für die beste Bachelor – Arbeit in ihrem Bereich an der Universität Kassel erhielt. Es ging um Benachteiligung von Frauen in gewerblich-technischen Berufen. Sie stellte den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Formen der Benachteiligung und der nach wie vor existierenden besonderen Unterdrückung der Frau in unserer Gesellschaft her – was in der Diskussion vertieft wurde.

Sehr beeindruckend dann der Bericht von Birgit Schuttenberg und Ulrike Held über eine Reise in den Südosten der Türkei, die sie als Delegierte der 2. Weltfrauenkonferenz noch vor dem Putsch in der Türkei gemacht hatten. Ungeheuerlich, die Bilder, die das Ausmaß des Terrors und des Völkermordes am kurdischen Volk verdeutlichte. Der Mut der kurdischen Frauen ging unter die Haut, ihre Erkenntnis, dass ihr Widerstand, ihr Kampf für Frieden und ein freies Kurdistan organisiert vor sich gehen muss und dass das Teil eines weltweiten Befreiungskampfes ist.

Der folgende Vortrag von Rechtsanwalt Frank Jasenski aus Bottrop stellte dazu eine wichtige Ergänzung dar. Zeigte er doch auf, wie die deutsche Bundesregierung mit dem faschistischen Erdogan-Regime kollaboriert und hier umfassend demokratische Rechte und Freiheiten , besonders in der Asyl-Gesetzgebung, abgebaut werden.

Den Abschluss bildete der Vortrag von Dr. Rolf Gössner, Bremen über das KPD-Verbot und die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges. Rolf Gössner berichtete über manche – aus heutiger Sicht kaum fassbare – Verfolgungen, Haftstrafen von Kritikern der Wiederbewaffnung, Kommunisten, die bereits von den Hitler-Faschisten ins Gefängnis und KZ gebracht wurden und hier teilweise von alten Nazi-Richtern abgeurteilt wurden. Sehr nachvollziehbar, dass diese Opfer rehabilitiert werden müssen! In der Diskussion wurde deutlich, dass dieser „alte“ Antikommunismus zwar nicht verschwunden ist, aber heute durch einen neuen Antikommunismus abgelöst ist, der quasi Staatsreligion ist und jegliche Diskussion über gesellschaftliche Alternativen verhindern soll.

Alles in allem eine Tagung, in der vieles Neues aufgedeckt, sachlich und kameradschaftlich gestritten wurde. Die weltanschauliche Offenheit und diese Streitkultur sind wirklich ein Markenzeichen der Offenen Akademie!. Die Teilnehmer konnten viele Erkenntnisse mit nach Hause nehmen.
Insgesamt auch eine Atmosphäre, in der der Optimismus vorherrschte und man spürte, wie lohnenswert es ist gegen Missbrauch von Wissenschaft und Forschung zu kämpfen.

Traugott Nassauer

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