Erweitert 8.3.2014

Im September 2013, bei der Vergabe für die Olympiade 2020 erklärte der Japanische Premierminister: “Die Lage in Fukushima ist unter Kontrolle”. Das ist nicht wahr. Richtig stellt der Atomphysiker Horoaki Koide von der Universität Kyoto fest, dass die Lage völlig außer Kontrolle ist: „Das Gelände rund um Fukushima ist zu einer Art radioaktivem Sumpf geworden. In den umliegenden Brunnen wird hochradioaktives Material entdeckt, und natürlich läuft ein Teil davon ins Meer” [1].

Die Reaktorkerne – Position unbekannt

Mit der Kernschmelze am 11.3.2011 in den Reaktoren 1 bis 3 haben die Reaktorkerne den Druckbehälter verlassen. Durch die extrem hohen Strahlenwerte ist es unmöglich, in ihre Nähe zu kommen. Nun sollen Myonen-Sensoren aufgestellt werden, um Informationen zu erhalten. Doch das ist Grundlagenforschung, und solche Meldungen sind ein Ausdruck der Ratlosigkeit [2].

Einige der Reaktorsicherheitsbehälter weisen große Risse auf. Tepco meldete erst kürzlich ein großes Leck an Reaktor drei [2]. Durch das Leck strömt vermehrt Grundwasser in den Sicherheitsbehälter ein, gerät in Kontakt mit dem geschmolzenen Kernmaterial („Corium“) und tritt wieder aus. Täglich dringen rund 400 Tonnen Grundwasser in die Reaktorgebäude ein und vermischen sich mit dem Kühlwasser, das in die Ruinen gepumpt wird.

Die Abklingbecken

Besonders gefährlich sind die Abklingbecken, wo abgebrannte und neue Brennelemente lagern. Alleine im Abklingbecken von Reaktorblock 4 enthalten sie die Radioaktivität von etwa 10.000 Hiroshimabomben [5].

Seit November 2013 wird versucht, Brennelemente zu bergen. Wegen des Zustands der Ruine ist das technisch schwierig und hoch riskant, denn die Kühlung muss aufrechterhalten werden. Am 25.02.2014 kam das Kühlsystem für das Abklingbecken Nummer 4 wegen eines durchtrennten Kabels zum Stillstand [3]. Die Arbeiten zur Auslagerung von Brennstäben aus dem Abklingbecken wurden ausgesetzt. Während der etwa zwei Stunden dauernden Kühlunterbrechung bleibe die Temperatur in dem Becken unter der vorgeschriebenen Grenze von 65 Grad, versicherte Tepco [3]. Über einen Fortschritt bei der Bergung der Brennelemente konnten keine verlässlichen Informationen gefunden werden. Nach wie vor ist die Lage hoch gefährlich, da die maroden Gebäude mit den oben befindlichen Abklingbecken bei einem weiteren schweren Erdbeben nicht standhalten werden.

Die Wassertanks

Etwa tausend Behälter für radioaktiv verseuchtes Wasser gibt es bereits auf dem Reaktorgelände, in ihnen lagern rund 335.000 Tonnen Wasser. Täglich kommen 400 Tonnen dazu. Die eilig aufgestellten Behälter haben teils bereits Lecks – so bilden sich auf dem Kraftwerksgelände stark strahlende Pfützen. Direkt über den Pfützen in der Nähe mehrerer Wassertanks seien Strahlungswerte von 100 Millisievert pro Stunde gemessen worden [4]. Zur Bewertung: Ein Aufenthalt von 2,5 Stunden an dieser Stelle löst unweigerlich die Strahlenkrankheit aus. Im August 2013 sind rund 300 Tonnen Wasser aus einem der Tanks geflossen. Aus einem anderen Tank sind Mitte Februar 2014 mindestens 100 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser ausgetreten [3].

Die Lage auf dem Gelände ist somit katastrophal. Die japanische Atomaufsicht hatte den Tepco-Konzern kritisiert, weil er problematische Strahlenwerte zum Isotop Strontium-90 im Grundwasser erst mit massiver Verspätung veröffentlicht hatte [3]. Die Belastung des Grundwassers ist in manchen Bereichen auf 1,7 Millionen Becquerel pro Liter angestiegen. Andere Proben waren „nicht mehr auf der Mess-Skala“, weil ihre Verseuchung durch Strontium-90 zu stark war [2]. Ob der Austausch mit dem Grundwasser über die erwähnten Risse erfolgt, oder ob die geschmolzenen Kerne sich bereits teilweise durch das Fundament gefressen haben, kann aufgrund der vorliegenden Informationen noch nicht gesagt werden. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass eine großflächige Verseuchung des Grundwassers im Gange ist. Diese wird sich auf große Landstriche ausbreiten, da sie kontinuierlich vorangeht und Grundwasseradern großräumig verbunden sind.

Gegenmaßnahmen waren vorgeschlagen worden. So hatte „Japans ehemaliger oberster Katastrophenbekämpfer“, Sumio Mabuchi, vorgeschlagen, einen Tonwall zu bauen. Stattdessen wurde geplant, einen Schutzring aus vereistem Wasser zu bauen – etwas Neues. Sumio Mabuchi hat eine so schlichte wie einleuchtende Erklärung dafür, warum die neue Regierung und Tepco sich dafür entschieden haben: Nur für technologisch aufwendige, noch nicht erprobte Technologien dürfe die Regierung Geld geben – deswegen würde der komplizierte Eiswall gebaut. „Und so wird man den Eindruck nicht los, als ginge es vor allem darum, die Kosten für die Verantwortlichen der Katastrophe unter Kontrolle zu halten. Die Katastrophe selbst aber geht weiter – und das wohl noch für eine lange Zeit“, bewertete das ZDF [5].

Die fortschreitende radioaktive Kontamination des Pazifik

Derzeit sickerten schätzungsweise 300 Tonnen verstrahltes Wasser pro Tag aus der zerstörten Atomanlage in den Ozean, erklärte ein Vertreter des Industrieministeriums im August 2013 [6]. Auf Grundlage von Messdaten des japanischen Bildungsministeriums (MEXT) wird geschätzt, daß über das gesamte Einzugsgebiet des Abukuma-Flusses (5172 km²) in der Nähe von Fukushima Daiichi insgesamt 890 TBq Cäsium als radioaktiver Fallout niedergegangen sind. Yamashiki et al. (2014) haben festgestellt, daß auch die Flüsse kontinuierlich Radioaktivität von dem über Land niedergegangenen Fallout ins Meer transportieren. Der weitaus größte Teil des radioaktiven Cäsiums ist dabei an Sedimentpartikel gebunden. Eine besondere Rolle spielen extreme Wetterereignisse wie Starkregen, Stürme oder die Schneeschmelze, wo große Mengen radioaktiver Sedimente resuspendiert werden. Das Sediment im Abukuma Fluss ist hochgradig kontaminiert mit Meßwerten bis zu 44 kBq/kg für Cs-137, bzw. 34 kBq/kg für Cs-134 [11].

Die Arbeitsgruppe von Prof. Yosuke Yamashiki vom Hydrologischen Institut der Universität Kyoto erforscht auch die Ausbreitung der Radioaktivität im Ozean und muss feststellen, dass noch in 80 Kilometer Entfernung vom Unglücksort horrende Werte im Meer gemessen werden. Über den fortlaufenden Eintrag radioaktiven Kühlwassers gelangen zahlreiche Radioisotope in den Pazifik und über Jahrzehnte in die Nahrungsketten [7].

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Meeresströmungen im Nordpazifik. Quelle: NOAA National Oceanic and Atmospheric Administration (2007): “North Pazifik Ocean Currents” [8]

Inzwischen haben die radioaktiven Elemente die Westküste Kanadas erreicht. Nachgewiesen wurden Cäsium-134 und Cäsium-137. Diese beiden Isotope wurden neben vielen weiteren radioaktiven Stoffen seit der Atomkatastrophe am 11. März 2011 in großen Mengen freigesetzt. Über die Luft und das Kühlwasser gelangten sie ins Meer und wurden durch die Meeresströmungen nun bis nach Kanada transportiert [9]. Bei Cs-134 mit einer Halbwertszeit von 2 Jahren kann mit Gewissheit gesagt werden, dass die beprobte Wassermasse die Elemente aus Fukushima mitgeführt hat. Bei Cs-137, welches im Pazifik noch den Atomwaffentests vorliegt, muss man den Wert vor und nach Fukushima vergleichen. Die Meeresströmungen bewirken einerseits eine Verdünnung der radioaktiven Substanzen, andererseits aber ihre Verbreitung über den ganzen Nordpazifik. In den Nahrungsketten reichern sie sich wieder an. Sicher ist: Nach den Atomwaffentests seit den 50er Jahren, sowie anderen Quellen, hat die Atomkatastrophe von Fukushima zu einer substantiellen Erhöhung des radioaktiven Inventars des Pazifiks geführt [10].

Im Juli 2011 haben wir an dieser Stelle den Artikel von S.Moldzio und anderen „Zu den Auswirkungen der Reaktorkatastrophe von Fukushima auf den Pazifik und die Nahrungsketten“ veröffentlicht. Darin wird bereits der Schluss gezogen: „Wir müssen davon ausgehen, dass Fukushima alle bisherige Freisetzung von Radioaktivität um ein Vielfaches übertrifft. Das Dilemma ist: Um noch Schlimmeres zu verhüten müssen die geschmolzenen Kerne („Corium“) kontinuierlich mit Wasser gekühlt werden. Dadurch kann trotzdem kaum vermieden werden, dass sie sich durch den Reaktor-Druckbehälter und anschließend durch den Betonboden fressen. Andererseits fließt dieses verstrahlte Wasser in die Kraftwerksgebäude, ins Grundwasser und in den Pazifik, denn mehrere Sicherheitsbehälter und Abklingbecken sind beschädigt, bzw. undicht“ [10].

Das Schlimme an der Atomkatastrophe in Fukushima ist, dass sie weitergeht und kein Ende in Sicht ist. Zwar ist von den Atomreaktoren Japans derzeit wieder keiner in Betrieb. Die Regierung will jedoch den Neustart von 17 Reaktoren. Bislang scheitert es noch am Widerstand der Bevölkerung. Das Verhalten der japanischen Regierung ist verantwortungslos. Sie stellt die wirtschaftlichen Interessen der Konzerne höher als die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung.

[1] http://www.umweltruf.de/2014_Programm/news/news_druck.php3?nummer=1360

[2] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/02/05/fukushima-tepco-findet-geschmolzene-brennstaebe-in-atom-ruine-nicht/

[3] http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/neue-panne-in-atomruine-fukushima-a-955502.html 25.02.2014

[4] http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/atomruine-fukushima-erneut-radioaktives-wasser-ausgetreten-a-917495.html

[5] http://www.heute.de/zdf-dokumentation-die-fukushima-luege-johannes-hano-ueber-die-atom-kraftwerk-katastrophe-32109408.html 26.2.14

[6] http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/300-tonnen-kontaminiertes-wasser-stroemt-taeglich-ins-meer-a-915265.html

[7] http://www.fr-online.de/tv-kritik/tv-kritik—zdf-zoom-fukushima-ausser-kontrolle,1473344,26404392.html 27.2.14

[8] http://www.pmel.noaa.gov/np/pages/seas/npmap4.html 3.7.2007

[9] http://www.berliner-zeitung.de/politik/nach-atomunfall-wasser-aus-fukushima-erreicht-kanada,10808018,26412096.html

[10] Zu den Auswirkungen der Reaktorkatastrophe von Fukushima auf den Pazifik und die Nahrungsketten, https://www.offene-akademie.org/?p=150

[11] Initial flux of sediment-associated radiocesium to the ocean from the largest river impacted by Fukushima Daiichi Nuclear Power Plant, http://www.nature.com/srep/2014/140116/srep03714/full/srep03714.html


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