Von Rolf Bertram, Göttingen

Innerhalb von 10 Jahren (1967 bis 1978) wurden 125.787 Gebinde mit radioaktiven Abfällen z.T. ungeordnet in ASSE II eingelagert. Diese Zahl ist das Einzige was als sicher gilt. Alle anderen Angaben über Ort, Art und Beschaffenheit sind mit großen Unsicherheiten behaftet. Bedingt durch zerquetschte und durchkorrodierte Gebinde kommen inzwischen flüssige, feste und gasförmigen Bestandteile aller Art in Kontakt. In diesen Phasengemischen mit unterschiedlichen chemischen und radioaktiven Komponenten laufen chemische und strahlenchemische Reaktionen ab, durch die ständig weitere Reaktionsprodukte gebildet werden.

„Es gibt Nichts, was es in der ASSE nicht gibt“

Die Besonderheit der ASSE-Müllmischungen besteht darin, dass unter dem Einfluss der allgegenwärtigen Radioaktivität die Zerfalls- und Neubildungsprozesse in den Lagerkammern immer unüberschaubarer werden. Das Inventar ist ständigen Veränderungen unterworfen. Diese Prozesse sind nicht aufzuhalten und werden mit der Zeit immer intensiver.
Technische Maßnahmen zur Entstehung und Vermeidung von Gasen und flüchtigen Teilchen sind im Labormaßstab bekannt, nicht aber für riesige Reaktionsräume wie in Asse II. Über eine Minderung oder Verhinderung der radioaktiven Belastung der emittierten Grubenwetter liegen keine verwertbaren Erkenntnisse vor. Schon vor vielen Jahren hat die WHO darauf hingewiesen, dass dringend Maßnahmen zur Partikelerfassung und Partikelreduzierung im Luftraum atomtechnischer Anlagen ergriffen werden müssten. Maßnahmen zur wirksamen Dekontaminierung sind im Labormaßstab aber nicht für eine Grubenbewetterung dieses Ausmaßes bekannt.

Vermutlich ist der Betreiber auch nicht interessiert, derartige Anlagen zu entwickeln und zu erproben. Denn was würde der Einsatz einer solchen „Reinigungsvorrichtung“ für Folgen haben? In der Reinigungs-/Filteranlage käme es zu einer Aufkonzentrierung von Radionukliden und damit zu unvermeidbaren Überschreitungen der Dosisleistung. Strahlenschutzrechtlich würden damit erhebliche Probleme auftreten.

Bei dem gegenwärtigen Stand (Verdünnung durch die Abluft) gehen die zuständigen Behörden davon aus, dass die kontaminierte Abluft unter dem Grenzwert liegt und damit zulässig ist. Planungen zur Reinigung der Abwetter sowie eine Berücksichtigung der Teilchengröße sind mir nicht bekannt. Solange vorliegende Erkenntnisse über Partikelgrößen (radioaktiver Feinstaub radioaktiver Ultrafeinstaub, „heiße Teilchen“) – wie bisher- keine Beachtung finden, sind Aussagen über deren Auswirkungen auf die Umgebung nicht belastbar.

Radioaktive Grubenluft

Besonders bedenklich ist die Bildung sicherheitsgefährdender Gasgemische. Alle dafür vorhandenen Komponenten und Reaktionsbedingungen liegen in den Lagerkammern vor. Diese Prozesse können mit zunehmenden Leckagen in wenigen Jahren auch für die Umgebung bedrohliche Ausmaße annehmen. Für die Umwelt und die Gesundheit am gefährlichsten sind die mit der Abluft erfolgenden Emissionen, darunter vor allem C14 vorrangig in Form von Kohlendioxid und anderen Kohlenstoffverbindungen.

Es ist dringend geboten, sich auf lebendige Systeme zu konzentrieren. Die Wirkung durch Inkorporation der wesentlichen RADIONUKLIDE C14 und Tritium sollte dabei im Vordergrund stehen Was heute an C14 freigesetzt wird, wird noch in 10 000 Jahren die Lebenskreisläufe in Form von somatischen und genetischen Missbildungen beeinträchtigen. Diese fundamentalen nichtreparierbaren Veränderungen sind bislang von den Betreibern nicht in der erforderlichen Tiefe berücksichtigt worden.

Vor diesem Scenario und der beschränkten Kontrollierbarkeit ist das Verhalten des derzeitigen Betreibers (BGE) unverständlich und verantwortungslos. Unverständlich deshalb, weil seit vielen Jahren einschlägige Expertisen vorliegen, in denen weiterreichende Untersuchungen und Überprüfungen des eingelagerten Materials in qualitativer und quantitativer Form gefordert werden. Bereits 1978 wird in einem amtlichen Vermerk (1) mitgeteilt: „Vermutlich entweichen konstante Mengen dieser Nuklide (im Gas) über andere Fließwege (Pfeiler, Schweben) aus den Einlagerungskammern. Vermutlich wird sich dieses Problem mit technischen Maßnahmen oberhalb 750 m nicht lösen lassen“.

Die Entsorgungskommission und die Strahlenschutzkommission haben 2010 in einem Arbeitsbericht (2) zum Ausdruck gebracht, dass Tritium und C14 im Inventar als Nuklide mit den höchsten Aktivitätsanteilen auftreten und dass offiziell gravierende Unterschätzungen der Aktivitäten vorliegen. Der Berichterstatter A. SAAS hat „erhebliche Zweifel an der Plausibilität der bisherigen Inventarannahmen“ und kommt zu der Schlussfolgerung „Der bisherige Kenntnisstand zum Inventar weist Lücken und Unsicherheiten auf, die einer Korrektur bedürfen“ und weiter „Auf der Grundlage des derzeitigen Kenntnisstands und der damit verbundenen Unwägbarkeit ist es nicht möglich, die Entwicklung des Endlagers Asse mit hinreichendem Vertrauen in die Datenbasis zu bewerten. Der Kenntnisstand bedarf daher einer deutlichen Verbesserung.“

Es ist ernüchternd zu sehen, dass BGE – derzeitige Betreiberin-, obwohl im Besitz der hier zitierten Unterlagen, nichts unternimmt, diesen desaströsen Zustand aufzuklären. Diese Befunde stehen bis zur Stunde in krassem Widerspruch zu den von der BGE getätigten Abläufen und Entscheidungen. Offensichtlich ist BGE beauftragt, die genannten Vorgänge durch Verschweigen und Untätigkeit zu verharmlosen. Unter den obwaltenden Zuständen und Erkenntnissen muss es doch darum gehen, sich nachhaltig und zügig an den Realtäten zu orientieren. In zentralen Punkten ist das Verhalten der BGE völlig inakzeptabel.

Die bereits stark verminderte Abschirmungswirkung und damit die Integrität der Gebinde steht zur Disposition. Durch Nichtbeachtung aller möglichen Freisetzungsschritte ist eine brisante Stilllegungssituation entstanden. Das hätte durch Beachtung der o.g. Expertisen und durch verbesserte Modellierungen weitgehend vermieden werden können.

Bislang sind für die ASSE keine an den Einwendungen (1),(2),(3),(4) orientierende Risikostudien bekannt. Alle Modellierungen konzentrieren sich z.Zt. auf bergtechnische und transporttechnische Vorhaben. Das ist zu wenig!

Erkenntnislücken zur Dynamik der gelagerten radioaktiven Stoffe sind bekannt. Der Lagerbestand verändert sich ständig, da die Substanzen unter der Einwirkung von Radioaktivität permanent qualitativ und quantitativ aufeinander wechselwirken und daher kein Gleichgewichtszustand erreicht wird, auch nicht über große Zeiträume. Es fehlt an wesentlichen Kenndaten, die für bereits eingelagerte Stoffe und deren Veränderungen im Nachhinein auch nur durch sorgfältige Recherchen zu erlangen sind. Alle bisherigen Annahmen und Tätigkeiten beruhen auf Vermutungen und ungesicherten Erkenntnissen.

Quellen

(1) Vermerk zur Tritium- und Radonüberwachung Asse II, Goslar 26.Mai 1978.
(2) Bewertung des Kenntnisstandes zum Stoffinventar der Kammer 12/750 der Schachtanlage Asse und Hinweise zur Verbesserung der Aussagequalität, Ad-hoc-Arbeitsgruppe Asse der Entsorgungskommission und der Strahlenschutzkommission, Dezember 2010
(3) Untersuchungen zur Strahlenbeständigkeit von zementierten LAW-, MAW-Produkten; H. Möckel, R. Köster, Institut für Nukleare Entsorgungstechnik, Kernforschungszentrum Karlsruhe, 1980
4) Kein Sicherheitsnachweis für Asse II; Rolf Bertram, strahlentelex. Sondervoten AGO,27.11.2009 und AGO,18.04.2010


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