Im Dezember und Januar gab es eine Vorlesungsreihe der Offenen Akademie an der Westfälischen Hochschule in Recklinghausen zu brisanten und gesellschaftlich relevanten Themen. Die Offene Akademie dokumentiert ein Gespräch von Josef Lutz mit Christoph Klug, der als Lehrbeauftragter an dieser Hochschule unterrichtet und einer der Sprecher der Offenen Akademie ist.

 

Josef Lutz: Die Veranstaltungsreihe an der WH Recklinghausen war ein Pilotprojekt der offenen Akademie, sich stärker an den Universitäten einzubringen. Sie wurde von Prof. Bontrup und Dir maßgeblich organisiert. Was waren die Motive, worum ging es?

Christoph Klug: Man kann sagen, dass die Politisierung der Studierenden stark zugenommen hat. Viele beschäftigen sich mit der Frage, wie die gesellschaftliche Entwicklung weiter gehen soll. Etliche wollen einen guten Beitrag dazu leisten, wissen aber nicht, wie das gehen soll. Einige blicken auch nur auf Karriere und individuelle Auswege. Die meisten sind nicht gewohnt, die Dinge gemeinsam in organisiertem Rahmen anzugehen, so dass sich manch einer allein und überfordert fühlt.

Die „Offene Akademie an der Hochschule“ hat hier mit ihrer Vortragsreihe einen sehr guten Beitrag geleistet. Die Vorträge waren öffentlich, und etliche Besucher sind von außerhalb gekommen, darunter Mitglieder von Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen. Von den eingeladenen Parteien kamen Vertreter der SPD, MLPD und des Jugendverbands REBELL, von Orts- und Bezirksvorständen der IG Metall und ver.di gab es leider niemand. Auf den Veranstaltungen mischten sich Arbeiter ein und forderten Studierende heraus, Partei zu ergreifen. Es war eine Aktion in Sachen Arbeiterstandpunkt und Arbeiterpolitik an der Hochschule. Prof. Heinz-R. Bontrup vom Fachbereich Wirtschaftsrecht unterstützte die Veranstaltungsreihe und trug auf der ersten Veranstaltung zum Thema 30-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich vor. Das ist eine nach vorn gerichtete Arbeiterforderung in einer Situation, in der bei Siemens, Automonopolen wie VW, Ford, Daimler und Zulieferfirmen wie Bosch und Hella zehntausende Arbeitsplätze vernichtet werden sollen – zusätzlich zu bereits vernichteten Hunderttausenden im Revier durch die RAG. Es verdient Anerkennung, dass Prof. Heinz J. Bontrup sich strikt gegen jede Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, gegen die BDA-Flexibilisierungspläne der Arbeitszeit und gegen Erhöhung des Rentenalters aussprach und mit Vehemenz eine Umverteilung zugunsten der Arbeiter forderte. Anwesende Arbeiter brachten ihre Streikerfahrungen ein, wie dieses Ziel Wirklichkeit werden könnte und meinten, sie könnten sich ein Arbeiterleben ohne kapitalistische Ausbeutung gut vorstellen. Eine von Ausbeutung befreite Gesellschaft ist ein Thema, dass viel stärker in den Mittelpunkt der Debatte gerückt werden muss.

Josef Lutz: Ihr hattet auch eine Veranstaltung durchgeführt gegen die geplante Flutung der stillgelegten Zechen durch die Ruhrkohle AG und die Gefahr für das Grundwasser durch dort eingelagerten Giftmüll. Was wurde dort diskutiert?

Christoph Klug: Ja, erst hat die RAG Hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet und jetzt riskiert sie die Vergiftung des Wassers durch untertägig eingelagerte Giftstoffe. Zum Thema sprachen der Umweltchemiker Dr. Harald Friedrich und der Gelsenkirchener Christian Link, ein Bergmann aus der Wasserhaltung. Beides sind mutige Menschen, und ihr Bericht im gut gefüllten Hörsaal klärte die Anwesenden über die großen Gefahren für die Gesundheit der Menschen in der Region auf. Die Schilderung eines Bergmanns, wie verantwortungslos mit hochgiftigen PCB-Ölen verfahren wurde und dass der Großteil seiner Kollegen bereits verstorben ist, berührte die Besucher sehr. Allerdings spielten einige Beschäftigte der RAG das herunter. Völlig daneben war der Beitrag des Hochschullehrers Prof. Beyer, der die Vorträge und Berichte glatt mit „alles falsch“ bezeichnete und sich dabei auf zensierte Gutachten berief. Es wurde deutlich, wie hier die bürgerliche Wissenschaft als Kampfmittel zur Zersetzung von Widerstand eingesetzt wird. Die Veranstaltung zeigte, dass der breite Widerstand gegen die Flutungspläne bis ins Saarland reicht. Ein Fernsehteam des Saarländischen Fernsehens war gekommen und hat einen Teil der Veranstaltung gefilmt.

Josef Lutz: Dein eigener Vortrag betraf Erkenntnisse über die Gesundheitsfolgen durch Ausbeutung der Beschäftigten und der Natur?

Christoph Klug: Ja, und er passte gut zu den vorangegangenen Veranstaltungen. Menschliche Arbeit ist Stoffwechsel von Mensch und Natur. Wird die Biosphäre vergiftet, gehen die Giftstoffe auf den Menschen über und führen zu chronischen und tödlichen Krankheiten. Wird zugleich, wie im Kapitalismus üblich, die Ausbeutung intensiviert, werden sowohl die Ausscheidung der Toxine wie auch Abwehrsysteme geschwächt, so dass sich die Gifte im Körper übermäßig anreichern und verstärken. Die Folge sind schwere chronische Erkrankungen, die das Arbeiterleben belasten und verkürzen. Ohnehin zweifelhafte Grenzwerte sind damit hinfällig oder müssen bei Arbeitsverlängerung und Verdichtung gesenkt werden. Eine von der RAG finanzierte Studie behauptete unlängst über die Vergiftung von Bergleuten mit PCB, dass „keine akute Gesundheitsgefährdung“ bestehe; das ist eine schamlose Lüge.

Josef Lutz: Der letzte Vortrag ging um die Rechtsentwicklung?

Christoph Klug: Ja; er bot einen Einblick in den Abbau bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten. Es ging dann um die Darlegung des jungen studentischen Referenten Alexander Schroeter, dass der Staat als ein Instrument der herrschenden Klasse zu betrachten sei und dieser sich mit der Rechtsentwicklung wie den Polizeigesetzen auf schärfere Klassenauseinandersetzungen und Aufstände vorbereitet. Und dass, auch wenn man sich nicht in allen  Dingen einig ist, es notwendig ist, sich gegen die Rechtsentwicklung zusammenzuschließen. Weiterhin wurde thematisiert, ob die Bevölkerung nicht einen anderen, ihren eigenen Staat braucht, damit die Ausbeutung von Mensch und Natur ein Ende hat.

Josef Lutz: Wie waren die Reaktionen auf die Veranstaltungen?

Christoph Klug: Die insgesamt 182 Besucher hatten einen super Austausch von Wissenschaftlern mit Studierenden und Bevölkerung auf Augenhöhe. Er regte zum Nach- und Umdenken an. Allerdings hat das nicht allen Besuchern gefallen. Der Hochschulprofessor Beyer hat am 16. Januar eine Veranstaltung zu „Pseudowissenschaft und Verschwörungstheorien“ angekündigt. Auf dieser stellte er die drohende Vergiftung des Grundwassers durch die RAG als Verschwörungstheorie in eine Reihe mit Impfstoffgegnern, Kreationisten oder Mondlandungsfake. Zuvor hatte er vor angeblich dubiosen Verschwörungstheorien und Parawissenschaft gewarnt, die von mir und anderen in der Offenen Akademie verbreitet würden. Eine solche Vermengung von wissenschaftlich korrekten Erkenntnissen mit idealistisch-ausgedachten Dingen ist typisch für den Positivismus, mit der dieser die Ausbeutung von Mensch und Natur – sprich hier durch die RAG – rechtfertigt.

Mit der gleichen Methode greift er auch die von dem Biologen Segal und mir im Jahr 1995 publizierte Arbeit über den mutmaßlichen Ursprung des HIV als eine (missglückte) Biowaffe an. Er stützt sich u.a. auf  Quellen des CIA und anderer Geheimdienste. Diese Einrichtungen sind bekannt dafür, an Folter, Mord und Raubkriegen beteiligt zu sein.

Die vier Veranstaltungen waren davon geprägt, dass Wissenschaftler Partei gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur und gegen Unrecht ergreifen, dass Arbeiter und breite Bevölkerung an die Uni gekommen sind, ihre Erfahrungen einbrachten und auf Augenhöhe mit Studierenden um die Zukunftsperspektive rangen. Durch die Praktizierung von weltanschaulicher Offenheit und Überparteilichkeit herrschte eine gute Atmosphäre, was für nachhaltiges Lernen unabdingbar ist. Etliche Hochschullehrer und Studierende haben uns gegen Diffamierungen kollegial ermutigt: „Ziehen Sie das durch! Machen Sie weiter!“

Josef Lutz: Vielen Dank für das Gespräch.

 


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