Unbequeme Fragen unter der Lupe

Das Interesse an der „Offenen Universität“ in Gelsenkirchen wächst. Hier wollen Wissenschaftler auch unbequeme Themen aufgreifen und sie diskutieren. Zum Mitmachen braucht man keinen akademischen Hintergrund.

Zum vierten Mal findet vom 29. September bis zum 6. Oktober die „Offene Universität“ in Gelsenkirchen statt. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, wissenschaftliche Erkenntnisse einem interessierten Publikum – auch ohne Abitur – zugänglich zu machen. Josef Lutz ist Professor für Elektrotechnik und Informationstechnik an der Technischen Universität Chemnitz und einer der Sprecher des wissenschaftlichen Beirats der „Offenen Universität“. Auf dem Programm stehen auch unbequeme Themen.

WDR.de: Herr Professor Lutz, was genau ist die „Offene Universität“?

Professor Josef Lutz: Sie ist ein Forum für kritische Wissenschaft und Kultur. Offen für alle Kreise der Bevölkerung – wir setzen keine akademische Vorbildung voraus. Aber sie ist auch offen für alle Themen, insbesondere auch kritische Themen der Wissenschaft, die im derzeitigen Bildungsbetrieb zu kurz kommen, benachteiligt oder sogar unterdrückt werden.

WDR.de: Woran liegt es Ihrer Ansicht nach, dass Themen unterdrückt werden?

Lutz: Wenn man zu einem Thema forschen will, braucht man Finanzmittel. Diese kann man bei staatlichen Einrichtungen oder der Industrie beantragen. Gefördert werden dann unter Umständen nur Dinge, die für die Großindustrie von Nutzen sind. Nehmen wir das Beispiel Mobilfunk: Kritische Ergebnisse laufen da den wirtschaftlichen Interessen entgegen. Damit stehen Sie als Wissenschaftler vor einem Problem.

WDR.de: Doch gerade das Beispiel Mobilfunk zeigt, dass in verschiedene Richtungen geforscht wird: Ständig werden Studien veröffentlicht, deren Ergebnisse jeweils genau das Gegenteil behaupten.

Lutz: Das mag so erscheinen. Aber wenn man sich in die Thematik tiefer einarbeitet, erkennt man, dass es hier auch viele Abhängigkeiten gibt. Es gibt Institutionen, die von Mobilfunkbetreibern eingerichtet wurden und die Forschungsaufträge vergeben. Zwar gibt es Forscher, die Gelder aus dieser Richtung bekommen, zu unerwünschten Ergebnissen gelangen und diese veröffentlichen – aber das erfordert viel Mut, denn es könnte Nachteile mit sich bringen.

WDR.de: Wie steht es denn um die Freiheit der Wissenschaft?

Lutz: Ein Wissenschaftler ist immer in einem Abhängigkeitsverhältnis – das gilt allgemein. Ich bin selbst Universitätsprofessor in der Elektrotechnik, auf dem Gebiet sind meine Auftraggeber interessiert daran, auch über die kritischen Punkte aufgeklärt zu werden. In anderen Bereichen kann das ganz anders aussehen. Gerade in NRW allerdings verschlimmert sich die Situation derzeit: Mit dem neuen Hochschulfreiheitsgesetz werden die Universitäten noch viel direkter mit der Wirtschaft verbunden. Oberstes Gremium ist der Hochschulrat, in dem Wirtschaftsvertreter sitzen. Die Abhängigkeit wird so verstärkt.

WDR.de: Bei einem Blick ins Programm der „Offenen Universität“ findet man außerdem: Globalisierung, Umgang mit Trauer und Tod, Kinder in der digitalen Welt, regenerative Energien, Entwicklungspolitik, Diskriminierung im Alter – droht da nicht die Beliebigkeit? Wo ist der rote Faden?

Lutz: Der rote Faden ist eine kritische, interdisziplinäre Wissenschaft. Es ist bewusst so, dass unterschiedliche Bereiche zum Zuge kommen sollen. Aus der Interdisziplinarität ergeben sich auch verschiedene Zusammenhänge – dass bestimmte Dinge nicht nur technische, sondern auch gesellschaftliche Zusammenhänge haben. Dass es beispielsweise eine gesellschaftliche Bedeutung hat, WIE Mathematik gelehrt wird. Jede 45-minütige Vorlesung ist verbunden mit einer 45-minütigen Diskussion, bei der die Themen intensiv hinterfragt werden.

WDR.de: Sie selbst halten einen Vortrag zum Thema regenerative Energien. Wie unbequem ist das Thema?

Lutz: Seit einem Jahr hat sich bei regenerativen Energien einiges verbessert. Das Thema wird ernster genommen. Im Unterschied zu den Programmen der Bundesregierung geht unser Vortrag etwas weiter und ist in den Forderungen radikaler. Es geht darum, dass wir möglichst schnell eine vollständige Umstellung auf regenerative Energien brauchen, denn angesichts der drohenden Klimakatastrophe müssen wir so schnell wie möglich die Bremse ziehen. Die technischen Möglichkeiten dazu gibt es.

Das Interview führte Annika Franck

URL: http://www.wdr.de/themen/wissen/bildung/offene_uni/
index.jhtml

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