Von Dipl. biol. Stephan Moldzio

In den Medien wird ständig verkündet, die radioaktiven Substanzen, die vom Super-GAU von Fukushima freigesetzt werden, verteilen und verdünnen sich, deshalb drohe keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung. Es wird der Eindruck erweckt, dass nur in unmittelbarer Umgebung des Kraftwerks die Grenzwerte überschritten seien. Überhaupt würde die Einhaltung von Grenzwerten unsere Gesundheit garantieren. Am Schlimmsten von der radioaktiven Verseuchung betroffen ist ohne Zweifel die japanische Bevölkerung, aber diese Katastrophe hat globale Auswirkungen.

Generell gilt, dass es keine Grenze gibt, unterhalb der Radioaktivität ungefährlich wäre. Es ist vielmehr eine statistische Frage, zu wie viel zusätzlichen Krebserkrankungen, Gendefekten, Missbildungen, Totgeburten, etc. eine bestimmte Dosis führt. Besonders über die Nahrungsaufnahme können die radioaktiven Substanzen im Körper ihre schädliche Wirkung entfalten. Äußerst schädlich sind hierbei Alpha-Strahler, wie z.B. Plutonium, bei denen der Strahlungswichtungsfaktor gegenüber Beta- und Gamma-Strahlern um das bis zu 20fache höher liegt. Der Strahlenschutzexperte der Charité in Berlin, Dr. Bernd Ramm beschreibt die biologische Wirkung von hohen Dosen ionisierender Strahlung (Beta-, Gamma-, Alpha-Strahlung) wie folgt:

„Bei der Wirkung von Strahlung muss man hohe Dosen und niedrigere unterscheiden. Bei „niedrigen“ Strahlendosen bis etwa 500 Millisievert erhöht sich vor allem das Krebsrisiko. Bei höheren Dosen kommt es bereits nach Tagen oder Wochen zum Absterben oder zur Schädigung der Zellen einer Reihe von Organen wie zum Beispiel des Magendarmtraktes, der Nieren oder der Leber…
In der Umgebung des Reaktors in Fukushima hat man Strahlendosen von 400 mSv (0,4 Sv) pro Stunde gemessen. Wenn die dort tätigen Menschen dieser Strahlung rund zwölf Stunden ausgesetzt wären, hätten sie eine Dosis von rund 5 Sv erhalten und würden dann wohl alle sterben. Bereits bei einer Dosis von 1 Sv sterben rund 10 Prozent der Betroffen innerhalb der nächsten Wochen und Monate. Und bei einer Dosis von 3 Sv sind es bereits rund 40 Prozent und, wie gesagt, ab 5 Sv überlebt kaum noch jemand. Aber derartige Dosismengen sind in Tokio mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch nicht annähernd zu erwarten. Dafür müssten einer oder mehrere der Reaktoren explodieren und den strahlenden Inhalt zum großen Teil freisetzen. Und dann müsste auch der Wind diese riesigen Mengen direkt nach Tokio wehen.“
(1)

Die Wirkung niedriger Dosen an ionisierender Strahlung erläutert der Strahlenschutzexperte Thomas Dersee vom „Strahlentelex – Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit“ (www.strahlentelex.de) am Beispiel des Großraums Tokyo:

„Der Anteil der zusätzlichen, jährlichen Krebstoten beträgt nach Schätzung der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) 5 % pro Sievert. Bei einer angenommenen Effektivdosis von einmalig 100 Millisievert wäre bei den etwa 35 Millionen Einwohnern im Großraum Tokio in den nächsten Jahrzehnten mit rund 175.000 zusätzlichen Krebstoten zu rechnen. Die ICRP ist ein Gremium der Anwenderseite in der Medizin und der Atomenergie. Nach unabhängigen Auswertungen der Daten von Hiroshima und Nagasaki (2) können es allerdings auch 10 mal mehr, also etwa 1.750.000 von 35 Millionen Einwohnern sein. Bei höheren Belastungen ergibt sich eine entsprechend höhere Krebssterblichkeit.“ (3)

Bei einer effektiven Dosis von 100 mSv bedeuten diese Zahlen, dass von 100.000 Menschen, verteilt über die Jahre, 500 zusätzlich an Krebs sterben!
Nicht eingerechnet in diese Zahl sind andere Nicht-Krebserkrankungen, wie Herz-/ Kreislaufschäden, Bluthochdruck, Diabetes, hirnorganische Veränderungen, Augenschäden, Infektionsanfälligkeit, genetische Schäden in den Folgegenerationen, schwere Fehlbildungen, u.a. Down-Syndrom, Totgeburten, Fehlgeburten und „fehlende Kinder“.

Zum Vergleich: Nach der deutschen Strahlenschutzverordnung von 2001, Paragraph 47 gilt im Normalbetrieb von Nuklearanlagen für die Bevölkerung ein Grenzwert von 0,3 Millisievert Effektivdosis pro Jahr. Bereits bei einer solchen, gleichbleibenden Dosis wird von der ICRP davon ausgegangen, dass auf 100.000 Personen 1,5 zusätzliche Krebstote pro Jahr kommen.

Ausgehend von dem Grenzwert von 0,3 Millisievert pro Jahr hat der unabhängige Informationsdienst Strahlentelex Grenzwerte für feste Nahrungsmittel berechnet. Der vom Strahlentelex empfohlene Grenzwert beträgt für Säuglinge, Kinder und Jugendliche maximal 4 Bq Cäsium-137 pro kg Nahrungsmittel und für Erwachsene maximal 8 Bq Cäsium-137 pro kg. Cäsium-137 dient hier als Leitnuklid, wobei auch die Aktivitäten anderer Radionuklide, berücksichtigt werden (4).

Direkt nach der Reaktorkatastrophe hatte die EU mit einer Eilverordnung die Grenzwerte für Lebensmittel aus Japan erhöht, so dass diese sogar über den japanischen Grenzwerten lagen. Mit anderen Worten: Lebensmittel, die in Japan den Grenzwert überschritten, durften in der EU verkauft werden!
In einer gemeinsamen Presseerklärung vom 29.3.11 hatten die Organisationen foodwatch und das Umweltinstitut München diese Erhöhung der EU-weiten Grenzwerte für Lebensmitteln aus Japan offengelegt (5). Wenig später hat die EU die Grenzwerte kurzerhand denen aus Japan angepasst. Aktuell gelten seit dem 8.4.2011 folgende Grenzwerte für Nahrungs- und Futtermittel aus Japan (6):

Nahrungsgrenzwerte

Quelle: Das Strahlenrisiko durch den Verzehr radioaktiv belasteter Nahrungsmittel nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, Gesellschaft für Strahlenschutz e.V. und www.Strahlentelex.de vom 14.4.2011

Diese Grenzwerte sind viel zu hoch. Sie würden bei einem Kleinkind zwischen 1 und 2 Jahren bei ausschließlichem Verzehr beispielsweise zu einer Effektivdosis von 83 Millisievert pro Jahr führen. Die Gesellschaft für Strahlenschutz e.V. und Strahlentelex bewerten am 12.4.2011 das Strahlenrisiko durch den Verzehr radioaktiv belasteter Nahrungsmittel nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima wie folgt:
„Nach Paragraph 47 der geltenden deutschen Strahlenschutzverordnung gilt im Normalbetrieb von Nuklearanlagen durch Ableitungen radioaktiver Stoffe mit Luft oder Wasser für Einzelpersonen der Bevölkerung ein Grenzwert von 0,3 Millisievert jährliche Strahlenbelastungen. Dieser Wert wird beim ausschließlichen Verzehr von festen Nahrungsmitteln und Getränken, die mit Radionukliden in Höhe der geltenden Grenzwerte belastet sind um ein Vielfaches überschritten. Er würde zum Beispiel für Erwachsene nur dann nicht überschritten, wenn nicht mehr als 0,15 Prozent derartige Nahrungsmittel verzehrt würden. Für derartige Belastungen von 100.000 Kindern mit jeweils rund 80 Millisievert jährlich kalkuliert die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP), daß etwa 400 von ihnen später jährlich dadurch zusätzlich an Krebs sterben werden. Nach unabhängigen Auswertungen der Daten von Hiroshima und Nagasaki können es allerdings auch 10 mal mehr, also jährlich etwa 4.000 von 100.000 mit 80 Millisievert belasteten Kindern sein. Für Erwachsene, die bei solcher Ernährung mit 33 Millisievert jährlich belastet werden, wären es noch 165 bis 1.650 von 100.000, die später zusätzlich jährlich an Krebs sterben. Mit der Festlegung solcher Nahrungsmittel-Grenzwerte nehmen die japanische Regierung und die Regierungen der Staaten Europas derartige Menschenopfer in Kauf. Dabei ist zu beachten, daß das Konzept der sogenannten effektiven Dosis nur die Krebstodesfälle berücksichtigt, nicht jedoch die Zahl der Erkrankungen, die höher ist. Außer zu Krebserkrankungen kam es zudem nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zusätzlich zu einem starken Anstieg somatischer Erkrankungen wie der Schwächung des Immunsystems, vorzeitiger Alterung, Herz-Kreislauferkrankungen schon in jungen Jahren, chronische Erkrankungen des Magens, der Schilddrüse und der Bauchspeicheldrüse sowie neurologisch-psychiatrische Erkrankungen als direkter somatischer Effekt von Niedrigdosisstrahlung.“
Die Atomenergie ist eine zutiefst lebensfeindliche Technologie. Für die Profite der Energie- und Atomkonzerne werden Menschenopfer bewusst in Kauf genommen.

Die Konsequenz muss die sofortige Stillegung aller AKW weltweit sein!
Die Grenzwerte müssen sofort auf ein Minimum gesenkt werden!
Es müssen flächendecke, unabhängige Kontrollen stattfinden!
Um die Bevölkerung zu schützen muss ein kompletter Importstop für Lebensmittel aus Japan verhängt werden, bis das tatsächliche Ausmaß der radioaktiven Verseuchung klar ist!

(1) http://www.n-tv.de/Spezial/252-500-koennten-an-Krebs-erkranken-article2883396.html
(2) Nussbaum, Belsey, Köhnlein (1990) in Strahlentelex 90-91 vom 04.10.1990
(3) Pers. Mitteilung 16.4.2011
(4) Strahlentelex Nr. 582-583 vom 07.04.2011
(5) http://foodwatch.de/presse/pressearchiv/2011/atom_katastrophe_in_japan/index_ger.html
(6) http://bit.ly/g0DsJF


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